Der Rest ist Schweigen
Abschied von einer Kultstätte
Der Vorhang fällt. Das Publikum geht in die Garderobe zu Hut und Mantel. Wohin gehen die Schauspieler, wenn Romeo und Julia gestorben sind?
Vom Bahnsteig direkt ins Foyer, vom Tram über die Strasse, vom Bus durch die Unterführung, nur wenige Schritte und man betritt eine Spielstätte, die Kultstätte geworden ist. Bleibt sie aber nicht. Leider! Grund: Corona? Das auch, denn während Monaten konnte hier nicht gespielt werden und viele, befragt, was sie während des lockdowns am meisten vermisst hätten, gaben zur Antwort: Die Kultur. Das Erlebnis in Gemeinschaft, wie es der Bildschirm nicht bieten konnte.
Das Ende der Kultstätte
Es war einmal ein grosser Raum in einem Bahnhof, ein riesiger Abstellraum, der dahin döste in Erwartung der Umsetzung eines Sicherheitsdispositivs.
Ein gewiefter, gewitzter und über alle Grenzen bekannter Theatermann aus Basel hatte eine Company gegründet und vor 40 Jahren, in einer Kirche, die jedermann kennt, den JEDERMANN aufgeführt. Das war die Geburtsstunde der Helmut Förnbacher Theater Company.
Wie und wo alles begann
Drei Dringe braucht ein Theater: eine Bühne, Schauspieler, Publikum. Mit Geschick, Geduld und seinem unwiderstehlichen Charme gelang es Helmut Förnbacher den Raum für ein Theater der Eigentümerin, die fern in Berlin sass, abzubitten. Für ein halbes Jahr (provisorisch). Dann Schluss. Im Französischen haben wir den Ausdruck: c’est le provisoire, qui dure. Dagegen steht: Alles hat ein Ende. Und nach vierundzwanzig Jahren fällt nun der Vorhang. Am Badischen Bahnhof. Nächstes Jahr. Vierundzwanzig Jahre liegen zwischen „Willkomm und Abschied“. In Goethe’s Gedicht (man sollte es wieder mal lesen) ist es eine Nacht.
Alles wegen der Schiene!
Das wunderschöne Theater liegt unter der wichtigsten Eisenbahnschiene Europas. Nord-Süd-Achse. Und weil auch gefährliche und explosive Güter durch Basel transportiert werden (auch durch die „Mittleri Brugg“ per Schiff!), existiert seit Jahren ein Sicherheitsdispositiv, das jetzt, für die Dauer von sieben Jahren (kennen wir die sieben Jahre nicht schon aus der Bibel??) umgesetzt wird.
Was passiert bei den Darstellern, wenn der Vorhang fällt. Die Lebensdauer der Akteure ist sehr kurz. Manchmal nur ein Wort, aber auch zwei Stunden Präsenz auf der Bühne. Und dann? Das letzte Wort ist gesprochen, aber so mächtig es ist, es ist vergänglich. Vor allem und ganz besonders im Theater. Da wird geliebt und gehasst und geboren und gestorben und nach zwei Stunden kommt wieder das normale Leben. Und anderntags die Kritik in der Zeitung. Ein Rezensent schreibt: wunderbar! der andere: schrecklich!
Helmut Förnbacher, den ich mit Kristina Nel im Foyer treffe, erzählt aus dem Schatz seiner Erlebnisse und Erfahrungen. Er kommt gerade von der Probe. Wie war die Probe? Eine Probe! Präzis auf den Punkt gebracht. Und alles, was ich in dem Foyer, umrahmt von eindrücklichen Theaterplakaten von Piatti, erzählt bekomme, hat mit der Vergänglichkeit zu tun. Der Umgang mit Erfolg, mit Misserfolg, die Darstellung der grössten menschlichen Probleme, die Inbesitznahme einer Rolle, was positiv und negativ sein kann. Wo kann ich stoppen und wo muss ich trennen? Ich höre zu und lerne.
Die Theaterkantine als Couch beim Analytiker
Zum Glück gibt es die Kantine, zum Einstimmen und wieder loslassen. Und da bilden sich Anekdoten über Eigenheiten und Eigenarten. Und jeder muss seinen Weg finden. Alkohol kann manchmal helfen, zu schärfen, zu polarisieren, je nach Rolle, aber immer ist man am Ende wieder nüchtern.
Ich bat noch um ein persönliches Statement zur Vergänglichkeit.
Kristina Nel: Mehr als beim Theater empfinde ich beim Film den Verlust, wenn abgedreht ist. Was ich gespielt habe, ist in mir, hat sich eingeprägt. Wenn im Theater, beim direkten Kontakt zum Zuschauer, etwas hängen geblieben ist, finde ich das schön. Und mit dem Tod ist nicht alles vorbei.
Helmut Förnbacher: Es ist schön, darüber zu reden, schwierig jedoch, sich damit abzufinden. Bücher bleiben. Was vor einem gedacht, erlebt wurde, bleibt. Im Theater ist es vorbei, der nächste Auftritt wartet. Der Verlust ist spürbar.
Wie weiland Moses sein Volk ins gelobte Land führte, möchte Helmut Förnbacher für seine Theater Company (das Ensemble umfasst mehr als 40 Mitglieder) eine neue Spielstätte. Er will weiter machen. Und bis Juni nächsten Jahres besteht die einzigartige Möglichkeit, die Kultstätte am Bd Bhf zu besuchen und Welttheater, grossartig dargeboten, zu erleben.
Aber vor der letzten Vorstellung und bevor das Theater am Bd Bhf der Vergangenheit angehört.
Hans Stelzer