Der Desinfektor im kleinen Klingental
Die Spanische Grippe in Basel 1918/1919
von Sabine Braunschweig
Der Vergleich mit der weltweit grassierenden Grippeepidemie von 1918/1919 ist derzeit naheliegend. Die meisten Menschen, die an der spanischen Grippe erkrankten, wurden zu Hause betreut. Nur Personen, die Komplikationen hatten oder ohne Angehörige waren, wurden ins Spital eingewiesen. Familien, die es sich leisten konnten, stellten eine Krankenschwester an, die im Haus der erkrankten Person wohnte und sich Tag und Nacht um diese kümmerte. Die 61-jährige Diakonisse Lina Weber aus Riehen etwa war im ganzen Winter bei acht Familien mit Grippekranken in Basel, Arlesheim und Zofingen im Einsatz. Sie hatte einen Todesfall zu beklagen. Der Sohn einer Pfarrersfamilie überlebte die Krankheit nicht.
Im Zeitraum der Epidemie von Juli 1918 bis Juni 1919 wurden in Basel 36'700 Erkrankungen mit 772 Todesfällen ärztlich gemeldet. Es starben vor allem Menschen im erwerbsfähigen Alter, die zwischen 20 und 40 Jahre alt waren. Damals betrug die Gesamtbevölkerung 134'000 Menschen.
Medikamente standen keine zur Verfügung. Die Sanitätsbehörden legten deshalb das Schwergewicht auf Information und Prävention. Auf Plakaten und Flugblättern, die auf Strassen, in öffentlichen Gebäuden und privaten Läden, Arbeitslokalen und Büros angeschlagen wurden und die beim Gesundheitsamt kostenlos bezogen werden konnten, wurden auf Vorsichtsmassnahmen hingewiesen. So sollten Krankenbesuche unterlassen, Menschenmengen gemieden und keine überfüllten Trams genommen werden. Ein weiteres Plakat befahl, Hand und Taschentuch beim Husten vor den Mund zu halten und eine strenge „Spuck- und Hustendisziplin“ einzuhalten.
Das Gesundheitsamt musste viele Fragen beantworten, Auskünfte erteilen und Falschinformationen richtigstellen. So warnten die Behörden vor angeblich prophylaktisch wirkenden Hausmittelchen wie Alkohol oder „Gurgel- und Schnupfmittel, Einstäubungen usw.“, die lediglich dem „Geldbeutel der Verkäufer“ nützten und den „ängstlichen Gemütern zur Beruhigung“ dienten. Auch Schutzmasken würden die Keime dieser „Tröpfchen-Infektion“ nicht abhalten. Sie widerlegten das Inserat eines Scharlatans, der das homöopathische Mittel Phosphor D. 3, als „absolut sicheres Mittel gegen Grippe“ anpries. Als das Inserat weiterhin erschien und Apotheker aus Basel und Bern nachfragten, reichten die Behörden Strafanzeige ein.
Grosses Gewicht wurde auf die Desinfektion gelegt. Angehörigen von Verstorbenen wurde unentgeltlich die Wohnung desinfiziert. Dazu war ein Desinfektor angestellt, der im Kleinen Klingental, wo er auch wohnte, Material für den Sanitätsdienst lagerte, wie etwa Infektionswagen für Spitaltransporte oder Arzt- und Pflegerinnenmäntel für die Pflege in Privathäusern. Der Desinfektor war in jener Zeit unverzichtbar und hatte, wie die Ärzte und das Pflegepersonal, Anspruch auf unentgeltliche Behandlung und Verpflegung sowie ein angemessenes Krankentaggeld, falls er selbst angesteckt wurde.
Angesichts der Heftigkeit der Grippe hatte der Bundesrat die gesetzlichen Grundlagen zur „Bekämpfung gemeingefährlicher Epidemien“ ausgeweitet und beschlossen, Bundesbeiträge den Betroffenen der Influenza-Epidemie auszurichten. Der entsprechende gesetzliche Zusatzartikel bestimmte, dass Ärzte, Krankenpflegepersonen und Desinfektoren, die „mit der Ausführung amtlich angeordneter Verhütungs- und Bekämpfungsmassregeln oder mit der Behandlung und Verpflegung internierter oder in Absonderungshäusern untergebrachter Kranker beauftragt sind“ und erkranken, Anspruch auf unentgeltliche Behandlung und Verpflegung sowie ein angemessenes Krankengeld haben. Den Ärzten wurden Fr. 15.- und dem übrigen Personal Fr. 5.- pro Tag zugestanden. Bei Erwerbsunfähigkeit oder Tod waren für die Hinterbliebenen Fr. 15'000.- respektive Fr. 5000.- vorgesehen.
Mit diesen finanziellen Vergütungen sollte es den Kantons- und Gemeindebehörden erleichtert werden, das dringend benötigte medizinische Personal zu rekrutieren, das „sich in diesen schweren Seuchezeiten mit Aufopferung und unter eigener Lebensgefahr der Behandlung und Pflege der Influenzakranken widmet“, hielt der Direktor des Schweizerischen Gesundheitsamtes fest.
Zur Autorin:
Sabine Braunschweig, Dr. phil., Historikerin, arbeitet im eigenen Büro für Sozialgeschichte in Basel.
Während der Grippeepidemie 1918 und 1919 wurden in Schulhäusern und Turnhallen Notspitäler eingerichtet, wie hier in Pratteln/BL.
Eine Plakataktion wies auf «Vorsichtsmassregeln gegen die Grippe» hin. (StABS, Sanitätsakten Q 3.3, Plakat «Vorsichtsmassregeln gegen die Grippe», 16.10.1918)
Im Kleinen Klingental 19 wohnte der Desinfektor, der hier auch das Desinfektionsmaterial lagerte.
Kranke Männer erholen sich an der frischen Luft auf der Terrasse des Männerkrankenhauses im Bürgerspital Basel, um 1920.
(Fotoarchiv Büro für Sozialgeschichte)